Zeitungsartikel vom 28.12.2022

Entgegen dem Trend

Der Spielmannszug Brockum kennt kein Nachwuchsproblem / 14 Neuzugänge in einer Saison

VON CARSTEN SANDER

Der Nachwuchs des Spielmannszuges Brockum mit Tambourmajor Patrick Weiß (re.) und den Coaches
Jannik Schumacher (2. v.li.) sowie Günter Lübker (6.v.li.). Foto: Sander

Brockum – Der Tisch rechts vom Tresen ist an diesem Abend für die Anfängerinnen reserviert. Sie üben. Das Niedersachsenlied. Oder jedenfalls einen Teil davon. Immer wieder diesen einen Teil. Nicht jeder Ton sitzt dabei, was aber auch kein Wunder ist. Denn wie gesagt: Es sind die Anfängerinnen, die gerade ihren wöchentlichen Flötenunterricht bekommen.

Günter Lübker, einst Tambourmajor, jetzt Flöten-Lehrer im Spielmannszug Brockum, erklärt geduldig, was noch nicht gut läuft. „Und noch mal!“, fordert er. Die Mädchen versuchen es erneut. Während sie so üben, sitzt zwei Tische weiter im Landgasthaus Koch der aktuelle Tambourmajor Patrick Weiß und erklärt, warum der Brockumer Spielmannszug einem
Trend trotzt und aktuell wächst, statt zu schrumpfen. Es liegt, sagt Weiß, unter anderem an Abenden wie diesem: „Wir bilden seit Jahren regelmäßig aus, so entsteht keine Alterslücke.“ Aber klar: Ein paar andere Faktoren spielen auch mit rein, wie später klar wird.

So ein Spielmannszug ist eigentlich schnell zusammengebaut. Man nehme ein paar Trommeln, ein paar mehr Flöten, eine Lyra oder auch zwei, drei, dazu noch eine Pauke und ein Becken – fertig! Aus dieser Theorie jedoch eine Praxis zu machen, fällt vielen Schützenvereinen in vielen Orten immer schwerer. Die Flöten, Trommeln und Lyren bleiben unbesetzt, Spielmannszüge bestehen mitunter mehr aus Phantommitgliedern als aus echten Aktiven, der Nachwuchs fehlt. Am unausweichlichen Ende steht dann die Auflösung des ganzen Musikzuges.

Ohne dass ein Dachverband gesicherte Zahlen über die schrumpfende Zahl noch aktiver Spielmannszüge im Landkreis liefern könnte, ist die Wahrnehmung auch bei Patrick Weiß die, dass es immer weniger werden. Was sich vor allem an der Zahl der Fremdvereine ablesen lässt, die die Brockumer während der Saison gerne für das eigene Schützenfest buchen würden. „Wir bekommen wirklich viele Anfragen. Aber die lehnen wir immer ab“, sagt Weiß und erläutert: „Auch für uns wäre es schwer, für solche Auftritte einen Zug zusammenzubekommen. Die Leute haben mittlerweile genügend andere Sachen um die Ohren.“

Doch für die eigenen Belange reicht es allemal. Für das Schützenfest an Pfingsten und all die anderen Termine, die dazugehören – wie Kreiskönigstreffen und Verbandsfest gilt: Wenn Brockum seinen Spielmannszug braucht, ist der Spielmannszug auch da. Tambourmajor Weiß präsentiert Zahlen, die andere Spielmannszüge wohl neidisch werden lassen. „Wir haben 79 Mitglieder auf der Liste – davon sind etwa 60 bis 65 auch noch mehr oder weniger aktiv. Wir kriegen immer eine Truppe zusammen, die spielen kann“, sagt er – und fügt mit einem Lächeln an: „Beim eigenen Schützenfest sind wir sogar immer sehr gut besetzt.“

In den „60 bis 65“ verbirgt sich eine weitere Zahl, die den Brockumer Spielmannszug abhebt. Denn aktuell verzeichnet er 14 Neuzugänge. Woher die kommen? Ganz unterschiedlich. Die Hobbymesse an der Grundschule Lemförde habe einen großen Zulauf bei den Kindern gebracht. Auch die Jugendschießgruppe liefere neue Mitglieder. Aber es gibt auch Fälle wie den von Lavinia Bartz, 18 Jahre alt. Eigentlich ist das nicht mehr das Alter, um in einen Spielmannszug einzutreten. Doch weil die Handball-Freundinnen dabei sind und sie selbst aktuell wegen einer Verletzung kein Handball spielen kann, hat sie eben auch angefangen. Instrument: Flöte, na klar. „Es macht auf jeden Fall Spaß. Alle sind hier sehr lieb miteinander“, sagt die Älteste unter den Neuen. Das Beispiel zeigt auch, wie sehr ein Spielmannszug in einem Ort wie Brockum, „wo es nicht so viele andere Angebote gibt“ (Zitat Patrick Weiß) auch sozialer Klebstoff ist. Es ist die Jugend, die zusammenfindet, führt der Tambourmajor, selbst gerade mal Mitte 30, aus: „Wenn wir so unterwegs sind, sind wir ganz schön jung.“

Bei dem Übungsabend sitzt Lavinia mit ihren Mädels im Spiegelzimmer und übt. Zwischen acht und 18 Jahren alt sind die Mitglieder der zu unterrichtenden Flötengruppe, zu der auch Günter Lübker irgendwann mit den Anfängerinnen stößt. Dann gehört die Gaststube nicht mehr den Flöten-Novizinnen, sondern den Trommeln. Jannik Schumacher bringt hier den Geschwistern Nele und Lukas Thiesing die
Grundzüge des Trommelns bei. Auch Malte Striethorst und Sebastian Lampe unterrichten an anderen Tagen, doch diesmal sind sie nicht da. Weshalb sich Jannik Schumacher alleine ein Grinsen verkneifen muss, als er hört, weshalb seine beiden Neulinge die Trommel ausgewählt haben. Nele, weil sie „schon immer ein Instrument lernen wollte“, die Pauke „aber doch ein bisschen zu groß“ war. Und Lukas, weil es beim Üben so schön laut ist: „Da kann ich Mama und Papa ärgern.“

Spätestens beim nächsten Schützenfest an Pfingsten 2023 werden die beiden aber schon mitspielen können. Jedenfalls sei das das Ziel, meint Patrick Weiß: „Nach einem halben Jahr sind die meisten so weit.“ Und wer weiß: Vielleicht wartet nur fünf Wochen später ein weiteres Highlight auf den Spielmannszug. Die
Brockumer haben sich beworben, beim Ausmarsch des Schützenfestes in Hannover, das als das größte Schützenevent der Welt gilt, dabei sein zu dürfen. Im Jahr des 111. Geburtstages des Schützenvereins Brockum würde sich der Spielmannszug dieses Bonbon gerne gönnen.

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